Mein WARUM:
Hier möchte ich Dir etwas darüber erzählen, warum ich eigentlich Ernährung studiert habe und später Ernährungstherapeutin geworden bin. Ich möchte auch näher darauf eingehen, warum ich mich mit der Entscheidung, öffentlich zu meinen früheren Essstörungen zu stehen, so schwer getan habe und warum ich so lange dafür gebraucht habe, mich zu outen. Wenn Du mir lieber zuhören möchtest, anstatt zu lesen, dann folge doch einfach meinem Podcast...
Erst im Corona-Jahr 2020 nahm ich an einer Fortbildung zum Thema social media teil. In dieser Fortbildung wurde uns erklärt wie wichtig das personal branding einer Marke ist und dass das WARUM von großer Bedeutung ist. Warum also mache ich das, was ich mache?
Dazu sollten wir uns während der laufenden Fortbildung Gedanken machen und hinterher berichten. In mir brodelte es, da ich genau weiß WARUM ich Ernährungstherapeutin geworden bin. Allerdings scheute ich mich davor, darüber zu sprechen und dieses WARUM mit den anderen Teilnehmerinnen zu teilen. Ich hatte gelernt, meine Essstörungen zu verbergen und keinesfalls darüber zu sprechen. Ich war der festen Überzeugung, wenn ich dies erzähle, nimmt mich keiner mehr als professionelle Therapeutin ernst. Also erzählte ich in dieser Fortbildung nichts über mein WARUM – aber: es brodelte weiterhin in mir… noch Monate nach dieser Fortbildung.
Also warum hatte ich diese Überzeugung überhaupt so fest in mir verankert, mich nicht öffentlich outen zu dürfen? Das hat eine ganz eigene Geschichte:
Wie ich schon erzählte habe, litt ich zu Zeiten meiner Pubertät – genauer gesagt im Alter zwischen 14 und 19 Jahren an Magersucht und Bulimie. Ich war sehr verunsichert zum Thema Ernährung und fühlte mich verloren. Ich wusste selbst nicht, was richtig und was falsch war. Ich wusste auch nach dem Abklingen der Essstörungs-Symptome nicht zu 100 %, was eine gute und gesunde Ernährung eigentlich ist und ob es tatsächlich verbotene Lebensmittel gibt. Auch ich forschte in Zeitschriften, Internetbeiträgen und Fernsehsendungen und suchte nach einer Antwort für mich. Das hat mich eher verwirrt, weil jeder etwas anderes behauptet hat.
Das war der ausschlaggebende Grund dafür, dass ich nach meiner 1. Ausbildung nochmal angefangen habe, zu studieren. Ich wollte mehr über das Thema Ernährung wissen und wer weiß – vielleicht irgendwann auch mal anderen Menschen helfen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und durch die Medien verunsichert wurden. Ich habe mir vorgestellt, dass ich später vielleicht auch Menschen mit Essstörungen helfen kann. Das war mein Traum!
Zu dieser Zeit ging ich auch noch offen mit meiner Erkrankung um. Ich bewarb mich um Praktikumsplätze, Diplomarbeitsstellen und später um einen Arbeitsplatz – am Liebsten natürlich als Ernährungsberaterin.
Bei den Vorstellungsgesprächen ließ ich tief blicken. Ich erzählte offen über meine Vergangenheit als Ex-Magersüchtige und Ex-Bulimikerin. Ich dachte, das wäre ein Vorteil, weil ich mich besser in andere Mädchen und Jungs mit Essstörungen hinein fühlen könnte. Ja, das dachte ich wirklich…
Bis ich auf den Boden der Tatsachen zurück geholt wurde. Bei den offenen Stellen, bei denen es auch um Ernährungsberatung bei Essstörungen ging, nahm mich keiner. Ich war jedes Mal aufs Neue enttäuscht.
Aber auf die Spitze getrieben hat es das folgende Ereignis:
Es ging um eine Stelle als Ernährungsberaterin in einer psychosomatischen Einrichtung. In der Vergangenheit nahm ich einmal selbst die Hilfe dieser psychosomatischen Einrichtung in Anspruch. Nachdem diese Hilfe abgeschlossen war, verabschiedete mich die Psychologin mit den Worten: „Wer weiß – vielleicht werden wir hier einmal Kolleginnen. Das würde mich freuen.“ Wie Du Dir vorstellen kannst, war das natürlich Balsam für meine Seele und bestärkte mich in meinem Vorhaben.
Als ich dann tatsächlich meinen Diplom-Abschluss frisch im Gepäck hatte und zudem meine Diplomarbeit als Fachbuch zum Thema „Anorexie und Bulimie bei Mädchen in der Pubertät“ veröffentlicht hatte, war ich hyper motiviert und freute mich schon riesig darauf, mich endlich dort bewerben zu können. Als ich keine Reaktion auf meine schriftliche Bewerbung bekam, hakte ich nach und konnte sogar ein Telefonat mit dem dortigen Chefarzt ergattern.
Ich weiß noch genau, wie nervös ich war, als ich in meinem Auto saß und die Mittagspause für dieses aufregende und vielversprechende Telefonat geopfert hatte. Ich hatte ihn am Ohr – den Chefarzt, der über meine Bewerbung und meinen Traum zu entscheiden vermag.
Nach dem üblichen small talk und der allgemeinen Vorstellungsrunde wollte ich noch etwas über meinen vermeintlichen USP erzählen: Es ist doch ein großer Vorteil, wenn ich als Ernährungsberaterin selbst schon Essstörungen durchlitten habe, da ich die Patienten und Patientinnen dieser Einrichtung umso besser verstehen kann und mich ganz anders in sie hinein fühlen kann.
Da sagte – ich nenne ihn jetzt mal Dr. Empathy: Ja, Frau Kremser (so hieß ich damals noch) – wie stellen Sie sich das nur vor? Sie sind doch von der ANDEREN Seite!!!
Nicht auszudenken, wenn Sie eine ehemalige Patientin von hier wieder erkennen würde…
Dieser Satz riss mich total aus dem Geschehen. Ich bin von der anderen Seite? Gibt es denn mehrere Seiten? Bin ich als Mensch mit Essstörungen anders zu bewerten? Wird mir hier ein Stempel aufgedrückt, denn ich nie wieder abwaschen kann???
Das machte etwas mit mir und vor allem sprengte diese Aussage meinen Traum in null komma nichts in die Luft. Danach war ich komplett ernüchtert und schämte mich für meine Offenheit und Naivität. Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte nie etwas von meinen Essstörungen erzählt.
Ab da nahm ich mir fest vor, nie wieder irgendjemandem von meiner essgestörten Vergangenheit zu erzählen. Meine Vision, Ernährungsberaterin zu werden und anderen zu helfen, schob ich erst mal weit weit von mir weg.
Und es dauerte tatsächlich mehrere Jahre bis ich mich an diese Vision erinnerte und einen neuen Weg aufblitzen sah. Ich muss mich doch gar nicht bewerben und hoffen, dass mich jemand trotz dieser Vergangenheit einstellt. Ich kann das ganze ja auch freiberuflich gestalten und ich kann selbst darüber entscheiden, was ich erzähle und was nicht!
Also fing ich mit meiner Fortbildung zur Ernährungsberaterin an, um mich selbständig machen zu können. Und das war definitiv der richtige Weg für mich!
Ich berate heute nicht nur Menschen mit Essstörungen, sondern auch ganz andere Problematiken im Hinblick auf die Ernährung wie z.B. Adipositas, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Lebensmittelunverträglichkeiten, Ernährung in der Schwangerschaft usw.
Aber eines haben alle meine Beratungsgespräche gleich. Ich kann Menschen einen Weg aufzeigen, die gerade irgendwo eingeklemmt sind und feststecken. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die es zu verändern gilt, aber diese Kleinigkeiten führen dann zur richtigen Ernährungsumstellung und mehr Lebensqualität. Viele sind erstaunt wie einfach eine gute und gesunde Ernährung eigentlich ist und ich kann etwas gegen die allgemeine Ernährungsverwirrung durch die Informationsflut der Medien tun. Das ist mein innerer Antrieb! Und das ist auch mein WARUM!
Zusammenfassung:
Ich habe also Ernährung studiert, um mir selbst aus der Patsche zu helfen und Sicherheit im Bereich Ernährung zu finden. Ich bin Ernährungstherapeutin geworden, um diese Sicherheit auch anderen Menschen anbieten zu können. Und ich stehe erst jetzt öffentlich zu meiner essgestörten Vergangenheit, weil ich mir einreden habe lassen, dass ich von der anderen Seite bin und diese Tatsache an meiner Professionalität nagt. Heute würde ich Dr. Empathy sagen: „Ich kenne beide Seiten – die eine Seite als Fachkraft und die andere Seite als ehemals Betroffene. Und ich muss sagen – MEIN Blick über den Tellerrand hinaus schenkt mir heute eine empathische Beratungsatmosphäre. Und gerade diese wissen meine Patienten so wert zu schätzen.“
Ich denke, DAS ist wohl mein personal branding und mein WARUM!
Für weitere Folgen höre doch einfach in meinen Podcast rein